Querschnitt für Anfänger
Ich weiß nicht, ob es nicht vielleicht ein Fehler ist, mein Buch als Frischverletzter zu lesen. Oder generell irgendein Buch von nem „erfahrenen Querschnitt“, wenn man noch ganz frisch in der Querschnitt-Welt ist.
Warum?
Ichglaube, es ist gut, dass man unerfahren und naiv an die Sache angeführt wird. Hätte ich damals schon gewusst, was auf mich zukommt, was Querschnitt und was Tetra sein heißt, ich wäre wahrscheinlich im Krankenhaus schon unter gegangen.
Das erste, das ich gedacht habe, war „geil, parken am behindertenparkplatz“. Dass es davon zu wenige gibt, diese meist zugeparkt von faulen Leuten sind und selbstständig Autofahren, vom Ein und Aussteigen und Rollstuhlverladen noch mal ne andere Hausnummer ist, soweit hab ich gar nicht gedacht. Und das war gut.
Eine der ersten Sachen, die meine Mama mir erzählt hat, war, dass sie auch mal einen Kumpel in dem Freundschaftskreis hatte, der im Rollstuhl saß und der auch immer mit weggegangen ist. Ich dachte, natürlich kann ich noch feiern mit meinen Leuten. Dass man angestarrt wird, wie ein Mensch vom andern Stern, dass man nur Ärsche und nen Schritt vor sich hat, dass man in die meisten Örtlichkeoten dank Treppen nicht rein kommt, wusst ich nichts. Von „meinen Leiten“, die nach und nach verschwinden ganz zu schweigen. Und das war gut.
In Murnau gab es Rollstuhltraining. Gruppe 1 und Gruppe 2. Gruppe 1 Paraplegiker. Gruppe 2 Tetraplegieker und die alten Leute. Hab ich nicht verstanden warum. Ich hab immer gehört, wie es bei den Paras hieß „heute wieder Treppe runter fahren trainieren“. Bei uns „heute hab ich eine besonders schwere Aufgabe: Ihr werdet über eine 1 cm hohe Matte fahren“. (Side fact: hab das erst in der nächsten Stunde geschafft).
Ich hab gefragt :aber irgendwann kann ich doch bestimmt auch Treppen runter fahren und Stufen hoch?“
Mein Trainer: Hmmhmm, vielleicht, also hmm. Eher nicht, eigentlich gar nicht. Aber vielleicht bestimmt.
Ich dachte mir nur, jaja. Natürlich werde ich das schaffen. Warum nicht?
Heute weiß ich: ein Scheiß werd ich. Nie im Leben. Treppen runter, ja. Aber nur mit sämtlichen Knochenbrüchen. Aber niemals gezielt und ausbalanciert. Ich hab die Fingerfunktion nicht um meine Reifen zu halten, und auch die Kraft nicht. Und damit meine ich nicht die Kraft, die man antrainieren kann, sondern die Muskulatur in den Armen, die sich nicht ansteuern lässt. Von der Rumpfstabilität ganz abgesehen.
Aber es war gut, dass ich naiv war. Ich hab dadurch trainiert. Ich hatte Hoffnung.
Ich hatte im Krankenhaus etwas, auf das ich mich gefreut hab: nach Hause zu kommen, meine Freunde wieder zu sehen. Hätte ich gleich zu Beginn gewusst, dass keiner auf mich warten wird, wer weiß wie ich das Krankenhaus überstanden hätte.
Hätte ich gewusst, wie schwer es ist, nicht als „die im Rollstuhl“ gesehen zu werden, wer weiß ob ich dann überhaupt mein Studium begonnen hätte.
Hätte ich im Krankenhaus gewusst, was für einen Kampf man tagtäglich mit den Krankenkassen kämpfen muss, wer weiß wie sehr ich mich auf meine Fortschritte konzentriert hätte.
Naivität kann gut sein. Kann Hoffnung geben und dein Leben einfacher machen. Du hast noch keine Ahnung, was auf dich zukommt. Du kannst nicht aufstehen, dich nicht bewegen und das ist Schock genug. Dass du nicht „in 2 Wochen spätesten laufend wieder rausspazierst“, sondern die nächsten 8 Monate hier bleibst, 3 Monate beatmet, ernährt wirst. Nach 2 Monaten das nächste mal erst wieder Sonnenlicht siehst, keine Freunde mehr haben wirst und das mit dem laufen auch nicht so klappt weißt du nicht. Und das ist gut. Denn so kommt nicht alles auf einmal. Das Querschnitt-Leben kommt schritt für schritt auf dich zu. Und das ist gut.
Und ich habe Angst, mein Buch und auch alle anderen Bücher, nehmen diese Hoffnung.
Andererseits gibt es natürlich auch Motivation und Hoffnung in anderer weiße. Zu sehen, dass es auch im Rollstuhl noch läuft. Dass man neue Freunde findet, dass man immer mehr dazu lernen kann. Dass man kräftiger wird und es eine Zeit nach dem Krankenhaus gibt, dass man irgendwann da raus kommt. Dass es liebe Menschen gibt, die einen unterstützen. Dass man sich nicht unterkriegen lassen soll und dass andere es auch geschafft haben. Dass man Leuten weiterhin in den Arsch und auf den Schlips treten kann. Dass man nicht auf eine spezielle Schule geschickt werden muss und dass man ein wundervolles Leben haben kann.
Ich glaube, ich würde nochmal Bücher rausbringen. Aber zwei verschiedene.
Querschnitt für Anfänger. Und Querschnitt für Fortgeschrittene
Das Buch für Anfänger haut nicht so mit Fakten um sich, sondern beschriebt mehr den Weg, die Zeit durchs Krankenhaus und wie man es „,,, trotz Rollstuhl“““ (das lesen frisch verletzte und Fußgänger ja so gerne)schafft, sein Abitur zu machen, zurück in die Arbeit zu finden und dass man trotzdem feiern gehen kann und vielleicht ein paar Beispiele von Leuten, die inkomplett genug waren und wieder laufen können. Ist nämlich das erste wonach Verwandte und Freunde und man selbst als Frischverletzter sucht. Und wie gesagt; ein bisschen Naivität und Hoffnung ist gut. Dann vielleicht noch 10 Anfänger-Tipps. Tipp 1: glaubt dem Typen vom sanitätshaus kein Wort und sucht euch einen erfahrenen Rollstuhlfahrer zum Anpassen des ersten Rollstuhls.
Das Fortgeschrittenen Buch ist dann die knallharte Realität. Dass es die wenigsten sind, dies aus dem Rollstuhl schaffen. dass man aber eben nicht alleine ist und nicht der einzige Depp, der so viel trainieren kann wie er will und trotzdem nicht laufen kann (Stichwort: XY hat viel trainiert, jetzt kann er wieder laufen! Disclaimer: Bullllllshiiiit. Sein Rückenmark hat sich erholt, er hat trainiert und deshalb kann er wieder laufen. Bekommt das in eure Köpfe)
Außerdem gibts Tipps für den Umgang mit der Krankenkasse und wie man mit den Blicken der Leute umgeht und Rollstuhlfetischisten erkennt.
Hoffnung und Naivität sind gut. Gerade am Anfang. Nicht mal ich, als die Königin der Pessimisten, hat auch nur ansatzweise erahnt, was da alles auf mich zu kommt. Und das war gut.
Und gleichzeitig war es gerade der Kontakt mit altrollstuhleingesessene, der mich aufgebaut hat. Mir Motivation gegeben und Angst vor der Zukunft genommen hat.
Vielleicht ist mein Buch also doch nicht so schlecht.
Also ich muss sagen ich hab den arsch Tritt meiner Frau gebraucht. Ohne sie hätte ich vll nicht den Ehrgeiz entwickelt gut damit klar zu kommen. Inzwischen sind wir 2 glückliche rolliFahrer. Ich denke mal das ist vom Typ abhängig. Aber das Buch ist ein guter Ansatz zu helfen.
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