from heels to wheels?

Mode und Rollstuhl.

Dass Rollstuhl nicht automatisch heißt, weiße Gesundheitslatschen und weite Schlaghosen anzuziehen dürfte hoffentlich bekannt sein. Wenn nicht: schaut auf meinem Instagram vorbei (amelieebner). Dass es aber auch nicht so ganz einfach ist Mode und Rollstuhl zu verbinden, will ich euch nun mal erklären. 

Im Vergleich hat sich zu meinem Stil vor meinem Unfall und dem jetzigen einiges geändert. Natürlich hab ich mich style-technisch verändert. Der Style einer 21 jährigen ist dann doch nicht mehr der einer 17 jährigen. (Auch dank meinem Studium. Ich hab es nicht für möglich gehalten, aber man rutsch tatsächlich schnell in die Schiene „Schau mich an, ich trage Hemden unter mein Baumwollpulli“ ab. Meinen Vans bleibe ich aber nach wie vor treu. (bestes je getätigte Wortspiel))

Naja. Jedenfalls musste ich mich nach meinem Unfall von ein paar Sachen verabschieden. Dazu zählten zum Beispiel Jeans mit dicken Gesäßtaschen oder gar Knöpfen am Arsch. Warum? Druckstellen! Auch einige Schuhe kamen weg. (WURDEN WEGGEKOMMEN!) „Schuhe müssen mindestens 2 Größen größer gekauft werden“ (Warum weiß ich bis heute nicht), meine Mutter also los und mir lauter Schuhe in 41 geholt. Jedesmal gefühlt wie ein Clown. Mittlerweile konnte ich auch sie wieder überzeugen, dass das unnötig ist und scheiße aussieht und ich so meine alten Schuhe wieder anziehen durfte. Zumindest das, was davon übrig war. Auch Kleider und Röcke kamen vorerst (!!) nicht in Frage, weil viel zu unpraktisch. Das Stilmotto in der Zeit kurz nach meinem Unfall lautete: Leggins, Jogginghosen, Turnschuhe (in Größe 41 natürlich) und T-Shirts. Wie auch sonst in der Reha? Es folgte der traurige Versuch nach der Reha mich in meine alten Klamotten zu kämpfen, in der Hoffnung es würde genauso sitzen und aussehen wie früher. Es war nicht so, nur wollte ich es da noch nicht so wahrhaben. Ich hab noch immer Dinge gekauft, ohne drüber nachzudenken, einfach weil sie mir gefallen haben, das Model im Online-shop gut damit aussah und ich dachte so würde es bei mir auch aussehen. Ich war naiv und hatte noch zu wenig Ahnung und Erfahrung mit Rollstuhl. 5 Jahre später hab ich nun Erfahrungen sammeln dürfen/müssen. Ich weiß jetzt, dass das was bei einem Model gut aussieht, nicht immer auch an mir gut aussieht und ich weiß, dass nicht alles was im stehen gut aussieht auch im sitzen gut aussitzt. Ich lerne noch immer dazu.
Worauf es ankommt? Ich versuche zu erklären. 
Und dafür will ich erst beschreiben, warum manches im Rollstuhl nunmal einfach scheiße aussieht und dann auf die praktische Komponente eingehen. Warum Mantel, Röcke, kurze Hosen, Sweatshirt Jacken, Handschuhe, BH’s unpraktisch sind und ich dankbar bin, dass High-Waist-Hosen gerade in sind. 

Erstmal zum äußeren. Im sitzen sieht man nun mal einfach anders aus als im stehen. Zum Beispiel sieht man den Arsch nicht. Und mein Motto war immer „Who needs big tits, when you have an ass like that“.  Momentan sieht man nichts von beidem. Zum anderen ist der Bauch nicht so gestraft wie im stehen. Und das kennt auch jeder. Nur irgendwie stellen die Menschen die Verknüpfung nicht her, weil sie einen Rollstuhlfahrer nicht mit einer sitzenden Person vergleichen, sondern mit einer stehenden. Versteht ihr was ich meine? Wenn ich enge Sachen anhabe, sieht das den ganzen Tag um den Bauch herum nicht so flach aus (Um es nett zu umschreiben). Bei laufenden nur wenn sie sitzen. Und irgendwie genau das verstehen die Leute nicht. Es liegt nicht unbedingt, dass Rollstuhlfahrer fett sind, sondern an der Anatomie des Menschen. Und darauf ist eben zu achten. Nicht alle Figurbetonten Kleider und sonstiges sehen immer gut aus. 
Als nächstes Jacken und Pullis. Dadurch, dass man sitzt, wölben die sich gerne auf und schon wieder sieht man fett aus. Die dürfen also nicht zu lang sein. Ich hab mir letzte Woche (das erste Mal mit meinem eigenen Geld) eine Jacke gekauft, und die war wie gemacht für mich. Die war genau so lang, dass sie sich nicht aufwölbt, und trotzdem lang genug um alles zu verdecken, schön eng anliegend mit einem Gürtel, der die Figur an der richtigen Stelle betont. Mit meinen alten Jacken hab ich mich immer wie ein Sitzsack gefühlt. So aufgewölbt und unförmig. Aber die Jacke ist echt perfekt!

Was auch gefährlich ist, sind Dinge, die schnell „behindert“ aussehen. Sorrynotsorry. Meine Schwester wollte ihre weißen Adidas Sneaker loswerden. Bei ihr sahen sie gut aus, also ich sie anprobiert und schon sahen diese coolen Sneaker aus wie Gesundheitsschuhe. Im Rollstuhl muss man (muss man nicht, aber ich wills) besonders darauf achten, was man anzieht, weil alles einen schnell ( ich weiß nicht wie ich das formulieren soll ohne direkt so gemein zu klingen, aber gerade heraus ist halt manchmal einfach nötig), weil alles einen Schnell zu einer Klischee-Behinderten macht. Also keine weißen Schuhe, keine Halstücher, keine Lammfelldecken. Leute, lernt mal, dass so keiner rum fährt. Und wenn, dann würden dies auch als Fußgänger tragen. Woher kommt dieses Bild. 

Zu Hosen. Hosen bestell ich nur in Slim-Fit. Die Zahnstocher schlackern darin sonst rum, wie sonst was. Und ich persönlich trag nur enge Hosen.  Jedem das seine, klar. Ich find enge Hosen schön. Allein deswegen schon keine Rolli-Moden-Hosen. Das sind gefühlt nur Schlaghosen vom andern Stern. 
„Ok, trägt sie halt normale Hosen. Wo ist das Problem? Hab mich schon immer gefragt, warum es spezielle Rolli-Hosen gibt.“ Werden sich jetzt manche denken.
Und ja. Hab ich mir auch gedacht. Deswegen ab in meine alten Hosen. Zumindest die, ohne Hosentaschen und Knöpfen am Arsch. Angezogen, alles schön und gut.
In den Rollstuhl gesetzt. „Ja, passt doch“. Dacht ich mir noch. 
Problem: Maurerdekoletee vom feinsten. 
Normale Hosen sind im sitzen am Arsch viel zu kurz! Sieht nicht nur scheiße aus, führt auch zu Nierenverkühlung. 
Ich kann Hosen im sitzen nur schwer hochziehen. Dauernd die Hose hochziehen zu müssen ist anstrengend. 
Nur ich hatte Modetechnis glück. Zu der Zeit wurden High-Waist-Hosen wieder in. Also Hosen mit hohem Bund. Und die sind meine Rettung. 
Ich kauf nur noch Hosen mit hohem Bund. Muss mir keine Sorgen machen, dass sie runter rutschen, meine Unterwäsche wird nur noch von mir auserwählten gesehen und meine Nieren bleiben warm. 
Noch dazu sind manche am Bauch eng, was sich extrem gut auf meinen Kreislauf auswirkt. Fragen sie ihren Arzt oder Google warum.
Ohne High-Waist geht wirklich nichts mehr bei mir. 
Noch ein Tipp:
Ich bin mit 1,70 nicht extrem groß, aber im sitzen mit immer angewinkelten Beinen, rutschen Hosen auch am Bein gerne mal hoch.
Wenn ich nicht gerade eine Hose will, die über dem Knöchel endet, nehm ich immer „tall“, d.h. für große Menschen. Die passen dann auch von der länge perfekt. 

Zu kurzen Hosen: Mit nackten Oberschenkeln den Transfer zu machen (also Rollstuhl<->Bett; Rollstuhl<-> Auto) sind Kratzer vorprogrammiert. Zumindest bei mir. Aber auch Zahnstocher möchten braun werden, daher muss ich das eben in kauf nehmen und/oder mir helfen lassen. Eine Lösung hab ich hierfür nicht wirklich. 

Röcke und Kleider im Rollstuhl klar möglich. Kurze in Kombination mit hohen Schuhen aber eher schwierig. Kann man sich ja denken, wo da die meisten Blicke hinwandern. 
Apropos Blicke hinwandern.: Bei Unterwäsche gibt es grundsätzlich keine Besonderheiten. 
Anfangs hatte ich mit BH’s probleme. In Sekunden den BH hinter dem Rücken schließen ist nicht hab ich schnell gemerkt. 
Aber dazu hab ich eine einfache Lösung gefunden: 
BH schnalle erst zu machen, dann BH über den Kopf - einfach wie ein T-shirt – anziehen. Und das ist einfach Tetra-Leben at it’s finest. Andere Wege finden.
Zwar gehen meine BHs so schneller Kaputt, weil sie einreißen, wenn ich sie über meinen fetten Schädel und breite Schultern ziehe. Aber auch das ist Tetra-Leben. Man muss lernen mit Verlusten zu Leben. 

Handschuhe. 
Handschuhe sind das am schwierigste und unpraktischste zum Anziehen überhaupt.
Als Tetra. Ohne Fingerfunktion. Möglicherweiße noch mit nur eingeschränkter Fingerfunktion. 10 kleine Finger, versuchen irgendwie in 10 mini-löcher zu bekommen. Viel Spaß.
Alleine ist eine Hand vielleicht möglich. Dann sitzt du da. Eine Hand funktionsunfähig vor dir. Die andere im Handschuh. Am funktionsunfähigsten. 
Aber zum Glück braucht man als Rollstuhlfahrer keine Handschuhe. Die Hände können ja immer in wamren Taschen bleiben. Man muss ja nicht den Rollstuhl mit ihnen antreiben, dessen Räder sich durch den Schnee ziehen, womit dir Greifreifen eine Temperatur von -1000 Grad haben. Das wäre ja ziemlich blöd. 
Meine Lösung bisher: 
- trotzdem irgendwie in Handschuhe kämpfen. (mit Grip, sonst kann man das antreiben vergessen)
- Fäustlinge. Viel einfach. Aber unpraktisch zum fahren, weil sie meist zu locker sitzen zum Rollstuhl antreiben und vor allem sind die nutzlosen Tetra-Händchen dann am nutzlosesten. 

Schuhe. Auch bei Schuhen ist grundsätzlich alles möglich. Am besten ist alles mit Reisverschluss oder Schuhbändern. Alles was man weit öffnen kann, damit man schön hinein kommt. Denn man kann ja schlecht den Fuß anwinkeln, oder druck geben. Deshalb komm ich in Schuhe mit hohem Schaft ohne Reißverschluss überhaupt nicht rein. Ganz klar ist auch hier auf Druckstellen zu achten. 
Ich persönlich kann mit Schuhen, die nur locker am Fuß sitzen, nichts anfangen, weil ich die immer verliere. Also Ballerinas (die ich noch nie ausstehen konnte, wie können Frauen damit laufen? Ich bin mit den Dingern immer gewatschelt wie ein Pinguin!), Flip-Flops, Pumps und Co fallen weg. 
Ich persönlich liebe Sneaker und Boots. Aber ich liebe auch hohe Schuhe. Und auch Schuhe mit Absatz sind möglich.
Man muss nur bedenken, dass mit höherem Absatz, auch die Knie weiter hoch kommen. (Stellt euch im sitzen mal auf euere Zehenspitzen). Dadurch kann man manchmal Probleme bekommen unter Tische zu kommen, weil die Knie hängen bleiben und auch der Schwerpunkt verlagert sich. Aber alles machbar. Bei zu niedrigem Tisch einfach die Füße vom Fußbrett nehmen und vorne runterhängen lassen. 

Nicht für alles gibt es eine Lösung. Aber für vieles findet man welche. 
Was für den einen funktioniert, muss für den anderen nicht automatisch funktionieren.
Man muss herausfinden, was für einen selbst funktioniert. Wie immer im Leben.

Aber nur, weil man im Rollstuhl sitzt, heißt das eben nicht, dass man nur karierte, weite Hosen, weite Lammfell-Hausschuhe und Regencapes tragen muss. 

From heels to wheels? 
No – Ich sage: heels with wheels.

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