Jeder Tetra braucht einen Tetra.


Zurück von der Reha. Schon seit 14.8. und ich bin noch immer höchst motiviert. Ich trainiere eigentlich jeden Tag mindestens eine Stunde aktiv. Nach der Reha bin ich extrem aufgebaut und angespornt. Vor allem, die bösen inkompletten wieder Läufer tragen dazu bei. Ich denk mir jedes Mal: "Nächstes Jahr Leute! Nächstes Jahr bin ich auch soweit!"

Ja. Letztendlich sitze ich dann doch wieder da und denk mir "Mist, schon wieder nicht genug trainiert"
Was Blödsinn ist weil (und jetzt schreibt euch das hinter die Löffel!!!!) :
Du kannst so viel trainieren wie du willst, wenn das Rückenmark durch ist, ist es durch!
Wenn ich schon den Satz höre "Sie wollte unbedingt, hat gekämpft und trainiert und jetzt kann sie wieder laufen"
NE! bullshit. Ihr Rückenmark war nicht komplett durchtrennt oder Nerven haben sich regeneriert, sie hat hart trainiert, wollte unbedingt und hat gekämpft und jetzt kann sie wieder laufen.
Ich schweife ab. Was ich eigentlich sagen will:

Reha baut unheimlich auf
Man bekommt knallhart vor Augen geführt, dass man noch immer nicht zu denjenigen gehört, die am Rollator trainieren.
Das ,ach im ersten Moment traurig. wütend. verzweifelt.
Aber. Man muss nur wissen was man damit macht. Alles in Motivation umwandeln.
"the fact that you aren't where you want to be should be enough motivation"
Und ich bin noch nicht da, wo ich hin will. Ich werd vermutlich nie sein, aber ich komme dem immer einen Schritt näher. Und so bin ich hoch motiviert mit so viel Trauer, Wut und Verzweiflung, die in Kraft und Willen umgewandelt sind, dass ich nen Marathon laufen könnte.

Was aber für mich jedes Mal schlimm ist und ich jedes Mal zu kämpfen und erst einmal zu verarbeiten habe:
Frischverletzte zu sehen.
Mein Herz blutet und ich muss sagen: Leute, ich versteh euch so langsam. Ich versteh warum ihr so Mitleid mit mir hattet.
Es tut weh. Zu sehen, wie ein frisch verletzter Tetra da sitzt. In einem Körper, den er nicht versteht. In einem Stuhl, der hinten und vorne nicht passt. Mit diesen schwarzen Tetra Handschuhen. Mit diesen nutzlosen Fingern, die man nicht einzusetzen weiß. Vor der Kaffeetasse. Wütend, dass sie leer ist. Überlegend, wie man den Kaffeeeinschenken soll. Mit der Tetra-hand (eine geballte Faust) zur Kaffeekanne langt. Mit beiden Händen die Kanne anhebt. Wieder abstellt, weil es keinen Sinn hat. Die Kanne ist noch immer zu. Sie müsste noch gekippt werden. Der Knopf zum öffnen gleichzeitig gedrückt werden, während man die Kanne kippt. Sie ist schwer. Zu schwer, ich könnte mein Gleichgewicht nicht halten. Überlegend, wie man den Kaffee jemals einschenken soll. Wie man jemals ohne Hilfe irgendwas machen soll. "Kannst du mir ein Kaffe einschenken?". Eine Frage, die Überwindung kostet.
Vor der gefüllten Tasse sitzt. Zu voll eingefüllt. Soll Ichs versuchen? Wenn ich sie anhebe, werd ich alles verschütten. Irgendjemand wird meine Sauerei aufwischen müssen. Ich werd mir den heißen Kaffee über die Beine schütten. Soll ich nach einem Strohalm Fragen? Das wäre schon sehr peinlich. Es wäre mir peinlich. Alle wüssten, dass ich die Tasse nicht anheben kann. "Kannst du mir bitte einen Strohalm geben?". Ich will doch einfach nur meine Tasse anheben können.

Ich seh diese Gedanken. Ich seh mich dort sitzen. Innerlich am verzweifeln, wütend schreien. Nach außen nach einem Strohalm fragen.
Ich seh die Frischverletzen und ich seh, mich. Ich seh, wie verloren sie in ihrem Körper sind. Ich seh den Weg der vor ihnen ist. Ich sehe dieses "Wie soll ich mir jemals wieder selbst Kaffee einschenken können?"
Ich setz mich an den Tisch dazu. Nehme mir eine Tasse. Nehme mir eine Kaffeekanne. Stütze mich mit den Ellenbogen am Tisch ab. Geh mit der rechten Hand in den Henkel, sodass meine Hand zwischen Kaffeekanne und Henkel ist. Hebe die Kanne schräg über der Tasse an, drücke mit der linken Handfläche den Knopf zum Öffnen der Kanne und schenke mir Kaffee ein.
Halb voll. Nehme die Tasse, indem ich meinen Daumen in den Henkel hake und trinke.

Ich hab ganz vergessen, dass ich das nicht konnte. Dass ich mir nicht vorstellen konnte es je wieder zu tun.
Man selbst sieht die eigenen Fortschritte nicht. Ich seh meine Fortschritte nicht. Aber ich bin verdammt weit gekommen. Und das wurde mir dieses Mal wieder klar.

Und mir wurde etwas gesagt.: Amelie, du bist ein Vorbild.

Ich muss ehrlich sagen, ich hab das immer nicht ernst genommen. Hab mir immer gedacht, die Leute sagen das, weil man es einfach so sagt. Warum sollte ich ein Vorbild sein?
Aber ich hab drüber nachgedacht. Und ich wurde auf Reha oft gefragt "Wie machst du das?", "Kannst du mir Tipps geben"
Und Leute. Fuck. Ich glaub ich bin ein Vorbild. In dem, was ich (ich muss es jetzt leider sagen, ich werde es bereuen!:) trotz Querschnitt geschafft habe. Was ich trotz hohem Querschnitt kann.
Und das ist nicht selbst verständlich. Ich sehe auch immer viele hohe Querschnitte, mit ähnlichen und mehr Funktionen, die weniger können als ich.
Und ich bekomm gesagt "du bist unglaublich fit für deine höhe".
Und es stimmt. Ich bin fit. Weil: ich will. weil ich trainiere, weil ich kämpfe. Weil ich mit den Funktionen, die ich hab, umzugehen versuche. Ausprobiere und auch nach dem fünfzigsten Mal nicht aufhöre, es zu versuchen.
Es gibt zwei Möglichkeiten: verkriechen, helfen lassen und geschehen lassen. Oder trainieren. Selbst versuchen und nicht aufgeben.
Ich hab als Frischverletzte anfangs nur die ersteren gesehen.
Ich hab oft gehört: "Ne, als Tetra kannst du das nicht"
Hab oft "kannst du mir den Kaffee einschenken" gehört, von alteingesessenen, die sogar etwas Fingerfunktion hatten.
Hab gesehen, wie fit die Paras sind.
Ein Spruch, den man auf Reha immer hört: Jeder Tetra braucht einen Para. Einen Para, der einem eben bei Sachen wie Kaffee einschenken hilft.
Und ich dachte mir: Nein. ich will das auch können.
Und dann kam ein junger Mann nach Bad Wildbad. Ich nenne ihn mal Dominik, 35.
Tetra. Kein Trizeps. Steigt ohne Rutschbrett ins Auto, verläd seinen Rollstuhl selbst. Isst ohne spezielles Essbesteck, schenkt sich Kaffee ein.
Der hat mich angeheizt. Vielleicht manchmal überfordert "Wie du kannst das nicht?"
Ja, du sitzt 15 Jahre, ich muss erstmal meinen Körper kennen lernen.
Aber letztendlich hab ich gesehen was alles möglich ist. Und dass Tetra nicht heißt, für immer Kaffee einschenken lassen.
Und ich glaube, ich bin nun auch zu einem solchen Vorbild geworden. Und ich würde sogar behaupten, ich bin ein verdammt gutes Beispiel. Zumindest wenn es darum geht, was man alles noch kann.


Ich seh die Frischverletzten und bin traurig. Seh, wie sie die unnützen Hände versuchen einzusetzen. Seh, was Sie noch vor sich haben. Seh mich selbst, wie ich vor 5 Jahren genau so dasaß.

Und ich seh, wie weit ich es geschafft habe. Sehe, welche Fortschritte ich eigentlich gemacht habe. Was ich alles kann. Was ich gelernt hab und was man durch viel Übung, training und Kampf wieder erreichen kann.

Jeder Tetra braucht einen Para.
Mittlerweile bin ich diejenige, die allen Kaffee einschenkt. ich durfte jemanden kennen lernen, den ich sehr ins Herz geschlossen habe, den es leider schlimmer erwischt hat. Er kann seine Arme nicht bewegen. Ich hab mir eine Tasse Kaffee eingeschenkt, ihm eine eingeschenkt, einen Strohalm genommen und ihm die Tasse gehalten, so dass er daraus trinken konnte. Ich hab ihm gesagt "Ich weiß nicht, ob ich das kann, kann passieren, dass ich dir den Kaffee drüber schütte" weshalb wir gewartet haben, bis der Kaffee ihn nicht mehr verbrühen würde. Und dann jeden Tag Kaffee zusammen getrunken. Königsdisziplin war dann zusammen Kuchen essen. Aber auch das haben wir hinbekommen.  Jeder Tetra braucht einen Tetra. 








Kommentare

  1. Das ist einfach unglaublich gut geschrieben und gehört mit Sicherheit zu den besten Texten, die ich in den vergangenen Monaten gelesen habe. Und ich lese viel.
    So schreiben zu können ist etwas, das man hat oder eben nicht.
    Du hast es: Du findest die richtigen Wörter, setzt Akzente, und so gelingt es Dir, sehr gefühlvoll und sehr berührend über das zu berichten, was Dich bewegt.
    An anderer Stelle hast Du ja schon Humor und Rotzigkeit bewiesen.
    Chapeau.
    Bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich hier ausschließlich auf Deine Schreibweise eingehe, aber das was Du da zeigst ist wie ein Musiker, der seine Zuhörer an seinen Stimmungen teilhaben lässt, einfach dadurch, dass er sein Instrument so gut beherrscht.
    Mach einfach weiter, mach Fortschritte, was immer Du tust: Du machst das!

    Liebe Grüße

    Michael

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    1. vielen, lieben Dank hierfür. Freut mich sehr zu hören.

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